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Geförderte Projekte Informationen zu den 2016 zur Förderung ausgewählten Projekten


DaZuLERNEN (Deutsch als Zweitsprache und Interkulturelles Lernen)

Christina Lang & Berina Akin, Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten, Gießen (vormals Friedrich-Feld Schule)

Für die Jugendlichen, die eine zweijährige Kaufmännische Berufsfachschule (KBFS) in Gießen besuchen, ist es ein Rollentausch: Aus den Schülerinnen und Schüler werden Coaches, wenn sie sich freiwillig in den DaZ-Kursen (Deutsch als Zweitsprache) für Flüchtlinge einbringen. In einer wöchentlichen Doppelstunde erweitern sie ihre eigenen Sprachkompetenzen und sammeln Erfahrungen, wie es ist, selbst jemand anderem etwas beizubringen und Lehrmaterialien zu erstellen. Die geflüchteten Jugendlichen lernen nicht nur Deutsch und bereiten sich auf den Regelunterricht vor, sie knüpfen auch zu Gleichaltrigen Kontakte, die über den Unterricht hinausgehen. Der Projektunterricht wird dokumentiert, und die Ergebnisse werden durch von den Berufsschülern produzierte Medien öffentlich präsentiert.

Gemeinsames Deutschlernen als Schlüssel zur Integration – Ein Integrationsprojekt an der WSO Gießen


Erstmalig lernen Schülerinnen und Schüler der zweijährigen Kaufmännischen Berufsfachschule (KBFS) und jugendliche Geflüchtete mit- und voneinander

Die Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten – WSO (vormals Friedrich-Feld-Schule) ist eine berufliche Schule in Gießen, die mehrere Schulformen unter einem Dach vereint. Sie bietet seit über zehn Jahren DaZ- Kurse für Geflüchtete im jungen Erwachsenenalter an. Seit dem Schuljahr 15/16 greift an beruflichen Schulen das hessenweite Programm InteA (Integration und Abschluss), welches jungen Seiteneinsteiger/inne/n eine Teilnahme an Intensivklassen ermöglicht. Die WSO hat zurzeit zehn InteA-Klassen – von der Alphabetisierung bis zum Niveau B1.1 (GER).


InteA-Klasse + Regelklasse = DaZuLERNEN = gelebte Vielfalt!

Das Projekt DaZuLERNEN ist vor fast fünf Jahren auf Initiative einiger Schülerinnen und Schüler einer 11. Berufsfachschulklasse entstanden, die in ihren Freistunden freiwillig in meinem DaZ-Unterricht mithalfen. Auch mit einer 10. Berufsfachschulklasse, mit teilweise schulmüden Schülerinnen und Schülern, die sich noch nicht kannten und die kurz zuvor ihren Hauptschulabschluss geschafft hatten, ließ und lässt sich dieses Integrationsprojekt erfolgreich weiterführen - bis heute. Die große Mehrheit der SuS der Berufsfachschulklassen hat selbst einen sog. Migrationshintergrund.

In der InteA-Klasse findet man junge Geflüchtete (zwischen 16 und 18 Jahren), die oft unbegleitet nach Deutschland gekommen sind. Sie kommen größtenteils aus Afghanistan, Somalia, Eritrea, Syrien, aber auch aus Mali, Pakistan, aus dem Irak oder aus dem Iran. Sie haben ihre Fluchtgründe und Fluchterlebnisse im Gepäck.

Das Projekt hat einen festen Platz im Stundenplan und im schulinternen Curriculum der KBFS und die SuS der Berufsfachschulklasse entwickeln unterschiedlichste Lernmaterialien, Aufgaben und ganz eigene Lehrmethoden, um die jungen Geflüchteten beim Deutschlernen zu unterstützen. Viele Produkte (Logo, Filme, Interviews, Fotobuch etc.) sind entstanden. Beide Schülergruppen profitieren in vielerlei Hinsicht außerordentlich von ihrer Zusammenarbeit und wachsen aneinander.

Das Zusammentreffen der beiden Lerngruppen findet einmal wöchentlich während einer Doppelstunde statt. Im gemeinsamen Unterricht gibt es eine sehr große Vielfalt an Herkunftsländern bzw. Abstammungen (teilw. 18 verschiedene) und eine noch größere Sprachenvielfalt (ca. 20 Sprachen, ohne afrikanische Dialekte).

Die KBFS-Klasse wird von mir im Rahmen des regulären Deutschunterrichts mit unterschiedlichen Materialien und Methoden auf die Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen vorbereitet. Der Raum wird hergerichtet, die Coaching-Teams bilden sich und Arbeitsmaterialien werden ausgewählt. Die meisten KBFS-SuS haben einen festen Lernpartner aus der Flüchtlingsklasse, den sie beim Deutschlernen unterstützen, indem sie mit ihm Aufgaben besprechen, Lernspiele spielen, kleine Tests schreiben oder sich auf Deutsch unterhalten.

Weitere Teams: Fotodoku-Team, Film-Team, Lernposter-Team, Übungsaufgaben-Team (zwei bis drei SuS entwickeln Sprachlern-Übungen)

In den regulären Deutschstunden der KBFS-Klasse finden regelmäßig Reflexionsphasen zu den Projektstunden statt. Am Ende des Schuljahres bekommen alle Schülerinnen und Schüler beider Gruppen eine ausführliche Bescheinigung über die Teilnahme am Projekt. In den Projektstunden wurde ich zunächst von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter/Lehrbeauftragten (Fabian Jost), später von jeweils einer zweiten Lehrkraft (wechselnd), von Berina Akin (Praktikantin/Lehrbeauftrage) und von Zulejha Cerimi (ehemalige Schülerin und Mitinitiatorin des Projekts) unterstützt.

Die KBFS-Schülerinnen und -Schüler erweitern ihre Sprachkompetenz im Fach Deutsch (Rechtschreibung und Grammatik), entwickeln Sprachbewusstsein (Sensibilisierung gegenüber der deutschen Sprache), erwerben Coachingkompetenz (LdL), lernen Arbeitsblätter mit Aufgaben zu erstellen (LdL), wenden Englischkenntnisse zur Verständigung an, stärken ihre interkulturelle Sensibilität, indem sie sich mit fremden Kulturen beschäftigen (Berührungsängste und Vorurteile werden reflektiert bzw. abgebaut, Mitgefühl entwickelt), erlangen Medienkompetenz, indem sie den Projektunterricht dokumentieren und die Ergebnisse präsentieren (Jahrbuch, Tag der offenen Tür). Der Rollenwechsel (vom Schüler zum Coach) ist für die teilweise schwierigen KBFS –SuS eine Besonderheit. Sie sind sehr stolz und geben sich die größte Mühe, ihrem Lernpartner nichts Falsches beizubringen.

Die DaZ – Schülerinnen und –Schüler erweitern ihre Sprach- und Kommunikationskompetenz, lernen Aufgabentypen und Arbeitsmethoden kennen, bekommen Hilfe bei der Integration durch Gleichaltrige (d.h. sie knüpfen auch privat Kontakte, über den Unterricht hinaus), werden auf den Regelunterricht in einer deutschen Schule vorbereitet, fühlen sich sicherer und willkommen, stärken ihre interkulturelle Sensibilität und verlieren Berührungsängste. Durch das Projekt bekommen die jungen Flüchtlinge Kontakt zu jungen Leuten, die hier in Deutschland leben. Sie erleben junge Menschen, die sich für sie und ihr Weiterkommen interessieren und mit denen sie lachen können. Die jungen Flüchtlinge genießen es, von Gleichaltrigen "unterrichtet" und gelobt zu werden.

Die Lehrenden LERNEN auch in jeder Projektstunde DaZu. Die kulturelle Heterogenität, das individualisierte Arbeiten in den Teams und die Tagesform der Schülerinnen und Schüler fordern die Lehrkräfte immer wieder aufs Neue heraus.


Aussichten: Diese Art von Projektunterricht bleibt fester Bestandteil des DaZ-/Deutschunterrichts und soll an der WSO multipliziert und auf weitere Klassen ausgeweitet werden. Das Konzept wurde und wird von mir auf Fachtagungen, Informationsveranstaltungen und in Gremien vorgestellt.


Akteure: Lernende, Lehrende, Ehrenamtliche, Praktikanten, Schulleitung, Jugendhilfeeinrichtungen


Wünsche: Für den Unterricht im Klassenraum würden wir sehr gern Tablets anschaffen. Dies würde individualisiertes Lernen fördern, weitere Sprachlernmöglichkeiten eröffnen und landeskundliche Themen leichter zugänglich machen.

Die SuS beider Klassen wünschen sich gemeinsame Unternehmungen (zum Beispiel einen Besuch im Senckenberg Naturmuseum, Tagesfahrten, Kochevents etc.) außerhalb des Klassenraums. Dafür benötigen wir finanzielle Unterstützung. Wir Lehrkräfte sind auch der Meinung, dass gemeinsame Erlebnisse am besten Vorurteile abbauen und dafür Toleranz, Respekt, Freundschaft und schließlich Integration fördern.


PS: DaZuLERNEN hat großen Anklang gefunden: Im April 2013 haben die beiden damaligen Projektklassen den Sonderpreis beim hessischen Schülerwettbewerb "Zuwanderung und Integration – Vielfalt in Hessen" gewonnen. Im Juli 2013 hat sich die damalige Kultusministerin Nicola Beer das Projekt angeschaut. Im Sommer 2015 hat Bundespräsident Joachim Gauck zusammen mit Kultusminister Alexander Lorz den Projektunterricht besucht. Im Herbst 2015 wurde die Projektarbeit mit dem Hans-Eberhard-Piepho-Preis prämiert und belegte in der Kategorie "Schulpraktische Arbeiten" den 1. Platz. Darüber hinaus entstanden im Rahmen des Projekts eine Examensarbeit zum Thema Projektunterricht und ein Bachelorarbeit zum Thema Interkulturelle Kompetenz.
 

 

Christina Lang (li.) und Berina Akin
Foto: Martin Magunia/Deutsches Lehrkräfteforum

 

ERFAHRUNGEN AUS DEM PROJEKT

Im März 2017 haben die Projektklassen eine fünftägige Reise nach Berlin unternommen. Unterwegs haben sich die Jugendlichen noch besser kennengelernt und umeinander gekümmert. Die jungen Geflüchteten bzw. Zuwanderer haben deutliche sprachliche Fortschritte gemacht. Die Schülerinnen und Schüler zeigten großes Interesse an der deutschen Geschichte. Die positive Erfahrung der gelungenen Reise wirkt im Unterricht nach. Gemeinsame Erlebnisse wie diese sind ein nicht zu unterschätzender Schlüssel zur Integration.
 

Projektbericht (PDF)


 

 

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